Die kleine Hope ist jetzt ein halbes Jahr bei mir. In dieser Zeit habe ich nicht nur mein neues Buch (über sie und Shira) beendet, sondern habe mich vor allem auf unser gemeinsames Leben konzentriert. Momentan hat die Zeit mit meiner Hündin absolute Priorität.
Anders als anfangs erwartet, hat sich die kleine Maus tatsächlich zu dem „Traumhund“ entwickelt, den ich mir erhofft hatte. Alles, was man einem Welpen mühsam beibringen muss, konnte sie oder lernte es in kürzester Zeit: Sie war von Anfang an stubenrein, blieb ruhig in der Wohnung, wenn ich einkaufen ging, zerstörte nichts, bellte nicht. Die Nachbarn (Zwei- und Vierbeiner) wurden schnell beste Freunde für sie. Auf meinen Reisen ist sie heute der perfekte Begleiter. Sie liegt im Auto in ihrer Hundebox, bleibt brav im Hotelzimmer, sitzt im Restaurant ruhig unter dem Tisch und liegt bei Lesungen und Seminaren auf ihrer Decke neben mir.
Aber natürlich gibt es auch immer wieder Rückschritte. Große, dunkel gekleidete Männer mit Hut oder Baseballmütze machen ihr noch weiterhin Angst, wenn sie direkt auf sie zugehen und sie ansprechen. Laute Autos und Situationen, die sie nicht einschätzen kann, verunsichern sie. Manchmal gibt es auch bei mir Momente, in denen sich ihre Erinnerung meldet und sich ein Schalter umlegt. Dann zuckt sie zurück und flüchtet in ihr Körbchen. Jedoch meldet sie sich nach kurzer Zeit wieder, kommt schwanzwedelnd an und freut sich über Kuscheleinheiten. Inzwischen zerfließe ich nicht mehr vor Mitleid, sondern lasse ihr Zeit, mit einer Situation selbst fertig zu werden. Wenn ich für sie da bin und ihr Sicherheit gebe, schafft sie das. Gegenseitiges Vertrauen ist das, was heute unsere Beziehung ausmacht.
Wie viele andere Menschen, die einem Hund aus dem Tierschutz ein Zuhause geben wollen, bin ich mich völlig blauäugig und ahnungslos in das Abenteuer Auslandstierschutz gestolpert. Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte. Trotz meiner Hundeerfahrung war dies eine völlig andere Nummer und hat Fragen aufgeworfen, die mich auch heute noch beschäftigen.
Als Hope zu mir kam war ich neben all meiner Verwirrung und Hilflosigkeit sehr wütend – auf die Zustände, unter denen die Tiere in Rumänien leben müssen, auf die Menschen/Tierfänger, die ihnen solche Angst machen, und auch auf die Vermittler, die es mir so schwer gemacht haben, mehr über meine Hündin herauszufinden. Ich bin überzeugt, dass ich sie dann hätte besser verstehen und ihr mehr helfen können. Hintergrundinformationen sollten eine Selbstverständlichkeit bei der seriösen Vermittlung eines Hundes sein. Ich war wohl lästig und unbequem, meine zahlreichen Fragen wurden kaum oder gar nicht beantwortet.
Alles was ich über Hope wusste war: Straßenhund, ca. fünf Jahre alt, für die Adoption ausgewählt, weil sie in einer Gruppe von Großhunden lebte und von diesen gemobbt wurde. Erst nach ihrer Ankunft erfuhr ich von ihrem Zwingerhusten. Dass ihr alle Beine gebrochen worden waren, konnte ich erst durch Röntgen bei meiner Tierärztin Zuhause feststellen.
Ich verstehe, dass man schnell handeln muss, wenn man ein Tier vor dem Tod retten will. Ich verstehe auch, dass die Tierschützer so viele Tiere wie möglich retten wollen. Jedoch ist niemandem geholfen, wenn die Tierheime überfüllt sind und kranke Hunde vermittelt werden. Oder wenn möglicherweise sogar Welpen in Massen produziert werden, um mit ihnen ein lukratives Geschäft mit tierlieben Menschen zu machen. Auch das scheint es immer öfter zu geben. Viele von euch haben mir gemailt und von eurer Erfahrung mit Auslandstierschutzhunden berichtet. Das war eine große Hilfe und dafür danke ich euch ganz herzlich. Ihr seid meine Helden.
Inzwischen begann ich auch immer mehr zu zweifeln, dass Hope tatsächlich ein „echter“ Straßenhund gewesen war. Vieles sprach dagegen.
Ich begann zu recherchieren. Was mir sehr geholfen hat, meine Hündin zu verstehen, ist ein Buch, das ich jedem Besitzer eines ausländischen Tierschutzhundes ans Herz legen möchte: „Streuner! Straßenhunde in Europa“
Der Autor, Stefan Kirchhoff, ist mit seinem VW-Bus und seiner Kameraausrüstung drei Monate lang durch Süd- und Südosteuropa gefahren, um das Leben der Straßenhunde zu dokumentieren. Dabei interessierte ihn vor allem, wie die Streuner tatsächlich leben, wie sie sich verhalten und sozial organisieren, wie sie Probleme lösen und Überlebensstrategien entwickeln. „Streuner!“ zeigt die andere Seite des Lebens dieser Hunde. Um mehr über die vermeintliche Herkunft von Hope zu erfahren, habe ich beim Autor eine Herkunftsanalyse in Auftrag gegeben.
Mithilfe eines Fragebogens und in Kombination mit zusätzlichen Angaben (biologische Daten, Alter, erste Impfung, aus welcher Region usw.) konnte er mir sagen, welches Leben meine Hündin vorher vermutlich geführt hat, und eine Art „Persönlichkeitsprofil“ von ihr erstellen. Ich fasse zusammen: Hope war vermutlich weder ein Verschlags- oder Kettenhund, noch wurde sie auf der Straße geboren oder hat lange Zeit selbstständig dort gelebt. Kirchhoff geht davon aus, dass sie einen Besitzer hatte und ein Hofhund mit gelegentlichem Freigang war. Irgendwann einmal wird sie zumindest zeitweise auf der Straße gelebt haben (ausgesetzt oder weggelaufen) und dort eingefangen worden sein.
Das alles passt zu Hopes Verhalten. Ich bin erleichtert, dass sie kein „echter“ Straßenhund war. Gleichzeitig fühle ich mich schrecklich bei dem Gedanken, dass sie vielleicht irgendeinem Menschen in Rumänien fehlt, weil sie weggefangen wurde. Aber das lag nicht in meiner Hand. Dafür sind allein die rumänischen Behörden verantwortlich.
Ich empfehle das Buch „Streuner!“ von ganzem Herzen jedem, der einen Tierschutzhund aus Süd- odere Osteuropa hat und der wissen will, wie Straßenhunde dort leben.
Ohne Zweifel ist die Situation für viele Hunde im Ausland schrecklich. Dennoch frage mich nach der Lektüre ernsthaft, ob wirklich jeder Hund „gerettet“ werden und zur deutschen Couch-Potatoe mutieren will.
Zurück zu Hope: Ich habe mit meiner Kleinen sehr, sehr viel Glück gehabt. Wir beide wachsen langsam zu einem Team zusammen. Meine Hündin zeigt mir, was im Leben wichtig ist, und bringt mich mit ihrer unbändigen Fröhlichkeit immer wieder laut zum Lachen. Nach der Trauer um Shira hat sie Freude in mein Leben gebracht.
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