Erübrigt Wolfsjagd den Herdenschutz?

19. Januar 2023

(Foto: Wolfcenter)

Der Inhaber des Wolfcenter Dörverden in Niedersachsen, Frank Fass, Autor und Herausgeber des Buches „Wildlebende Wölfe“ beleuchtet in einer neuen monatlichen Serie rund um das Thema Koexistenz mit dem Wolf die kontroversen Facetten seiner Arbeit. Es geht dabei um die fachliche Einordnung einer häufig emotional geführten Debatte. Aspekte wie Gesellschaft, Politik, Ängste, EU-Gesetze, Quoten, Herdenschutzanlagen, Agrarverordnungen werden erörtert. Im ersten Teil dieser Serie geht es um das Thema Jagd und Wolfsschutzerhalt. Die Fragen stellt Dr. Connie Voigt, Beraterin mit internationalem Medienbackground.

Voigt: Die EU Kommission hat im November 2022 eine Resolution verabschiedet die eine Überprüfung des derzeitigen Schutzstatus für Wölfe von „streng geschützt“ auf „geschützt“ in den EU-Ländern ermöglicht. Wie stehen Sie zu einer eventuellen Herabsetzung auf den „geschützt“-Status?
Fass: Ich bin gespannt wie eine eventuelle Herabsetzung auf „geschützte Art“ rechtlich begründet werden kann. Denn der derzeitige Schutz innerhalb der EU basiert auf der Flora-Fauna-Habitat-(FFH)-Richtlinie von 1992. In dieser FFH-Richtlinie wird bereits unterschieden zwischen streng geschützten Arten (Anhang IV) – der Wolf in der BRD gehört dazu – und Arten von gemeinschaftlichem Interesse, deren Abschusserlaubnis Gegenstand von Verwaltungs-Maßnahmen sein kann (Anhang V). Länder wie Polen, die Slowakei und das Baltikum haben sich bei EU-Eintritt diesen so genannten Anhang V als Sonderregelung ausgehandelt. Deutschland wie beispielsweise auch die Niederlande oder Schweden sind per Gesetz dazu verpflichtet, Wölfe auf ihrem Hoheitsgebiet streng zu schützen, also dazu beizutragen, bedingungslos die Art zu erhalten. Dennoch beabsichtigt Schweden laut dem schwedischen Jagdverband 75 der dort ca. 460 wildlebenden Wölfe dieses Jahr zu entnehmen. Dieses Vorgehen stellt einen groben Verstoß gegen die FFH-Richtlinie dar, welches die schwedischen Politiker zu verantworten haben.

Was genau steht hinter der Sonderregelung dieses Anhang V?
Alle Bedingungen zur Bewertung des Erhaltungszustands der Wölfe müssen erfüllt sein, um einen Abschuss legal zu genehmigen. Erstens muss die Wolfspopulation als stabil eingestuft sein, zweitens muss die Population als genetisch gesund einstufbar sein, drittens muss der Lebensraum vorhanden sein und erhalten werden, und viertens, muss eine natürliche Mischung verschiedener Wolfspopulationen beobachtbar sein. In einem Artikel im Fachmagazin Natur und Landschaft von 2021 (Heft 1) wird für mehr wissenschaftliche Studien in regelmäßigen Abständen plädiert um eine bestmögliche Datenbasis für die Bewertung des Erhaltungszustands der Wolfspopulation zu erreichen. Hierzu zählen die AutorInnen des Artikels wissenschaftliche Untersuchungen zum genetischen Status und Austausch unter Rudeln, Altersstruktur und Mortalität, Hybridisierung sowie Habitat-Verfügbarkeit und Qualität der Lebensräume. Diesem Plädoyer kann ich mich nur anschließen. Um auf die EU-Ebene zurück zu kommen, stehen letztlich alle EU-Mitgliedstaaten in der Verpflichtung für einen günstigen Erhaltungszustand zu sorgen.

Deutschland hat sich diesen Sonderstatus nicht erhandelt, woran liegt das?
Das hat historische Gründe. Bis zur Wiedervereinigung waren Wölfe in der ehemaligen DDR und in ihren Nachbarstaaten zum Abschuss frei bis die erwähnte FFH-Richtlinie der EU 1992 in Kraft trat; und erst acht Jahre später im Jahre 2000 wurde per Wolfsmonitoring ein erstes niedergelassenes Wolfsrudel mit Territorium auf deutschem Boden bestätigt. 22 Jahre danach wiederum wurden amtlich 161 Wolfsrudel bestätigt, sowie 43 Paare und 21 Einzelwölfe, die sich territorial niedergelassen haben. Wir sprechen in Deutschland nun von einer bisher durchschnittlichen Territorien-Zuwachsrate von 31 Prozent.

Das klingt aber nach einem kräftigen Anstieg der deutschen Wolfspopulation …
Wenn wir mit einem Zuwachs-Multiplikator von 1,31 rechnen, der ja den 31 Prozent der Zuwachsrate entspricht, dann dürften wir in fünf Jahren, mit ca. viermal mehr Rudeln rechnen, genau kalkuliert mit 610 Rudelterritorien. Entscheidend für eine mögliche gesetzliche Herabstufung der Art auf „geschützt“ ist hier u.a. der Faktor der Erhaltung des Lebensraums. Ich beziehe mich im Folgenden auf Ergebnisse einer 2020 veröffentlichten Studie des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) deren Daten für eine Habitat-Modellierung 2018 ausschließlich in Deutschland erhoben wurden: Demnach beläuft sich die Zahl potenzieller Territorien (bei einer Territoriengröße von 200 km2) auf einer Spanne von 700 und 1400, die grundsätzlich Platz für die entsprechende Anzahl von Rudeln bieten.

Die Spanne von 700 bis 1400 Wolfsterritorien scheint dann aber doch recht weit interpretierbar wenn es um Jagdrecht geht …
Bei der Angabe der Territorien der BfN-Studie handelt es sich keinesfalls um eine Zielgröße für eine deutschlandweite Wolfs-Bestandsentwicklung und deren Management. Vielmehr stellen die Ergebnisse das mögliche Potential der verfügbaren Wolfshabitate dar und unterstützen somit die Bundesländer bei der Planung und Anpassung ihres Wolfsmanagements. Hinzu kommt: sollte man in Deutschland die Wolfsjagd einführen, dann müsste zunächst der günstige Erhaltungszustand der Wölfe gemäß FFH erreicht sein und dauerhaft bleiben. Sollte es also im EU Parlament zu einer Abstimmung zur Aufweichung von Anhang IV – sprich Status „streng geschützt“ zu Anhang V Status „geschützt“ kommen, dann müssten sich alle 27 Mitgliedsstaaten im Einstimmigkeitsprinzip darauf einigen. Das ist derzeit aber nicht zu erkennen.

Könnte man eine Quote für das Jagen von Wölfen einführen?
Nehmen wir das Beispiel Slowakei, die den Status der Sonderregelung im Sinne von Anhang V des FFH hat. Dort wird Wolfsmonitoring betrieben. Anhand der daraus erhobenen Daten, die jedes Jahr variieren, wird eine jährlich neue Quote errechnet, die auch mal null Abschlüsse in einem Jahr bedeuten kann. Das wäre auch hier denkbar. Aber es wird immer darum gehen, dass der günstige Erhaltungszustand als Maß aller Dinge erhalten bleibt. Monitoring ist essentiell, um zu vermeiden, dass ein Land unter Umständen immer wieder zwischen dem Status streng geschützt und geschützt hin und her schwankt.

Was wäre der konkrete Nutzen einer Quote?
Nehmen wir mal an, dass bestens rechtlich fundiert und per Wolfsmonitoring errechnet jährlich ca. 10 Prozent der Wölfe in Deutschland wahllos – also egal welcher Wolf – abgeschossen würden. Welchen Vorteil brächte das? Wir würden dann feststellen, dass die Wolfspopulation weiterwächst und sich auf der Landkarte weiter ausdehnt. Der Prozess wäre lediglich verlangsamt vergleichbar mit einer Autoweiterfahrt bei angezogener Handbremse. In vielen Gesprächen mit Nutztierhaltern habe ich oft gehört, dass sich im Fall der Bejagung der Wölfe die Übergriffe auf Nutztiere deutlich reduzieren sollte. Dem wäre aber nicht so.
Zur Veranschaulichung folgendes Szenario: Angenommen es lebt ein zehnköpfiges Rudel Wölfe in der Region und dieses Rudel greift nachgewiesen immer wieder ungeschützte Schafherden an. Und gehen wir weiter davon aus, dass z.B. 10 Prozent der Wölfe per Quote entnommen werden dürfen, hieße also, es darf ein Wolf abgeschossen werden. Nach dem Abschuss werden wir aber weitere Übergriffe auf die ungeschützten Schafe durch die verbleibenden neun Wölfe feststellen. Sollte eines der Elterntiere dabei geschossen worden sein, werden wir beobachten können, dass in der Zukunft die entstandene Lücke im Elternpaar wieder durch einen zuwandernden Wolf geschlossen wird. Schlussendlich können wir es drehen wie wir wollen: es ist und bleibt von höchster Wichtigkeit, dass wir so schnell wie möglich bundesweit Herdenschutzmaßnahmen einführen.

Und was machen wir, wenn einzelne Problemwölfe diese Schutzmaßnahmen doch immer wieder überwinden?
Ich bin sehr dafür, dass wir umgehend auf Bundesländerebene sogenannte Wolfsentnahme-Fachteams etablieren – auch wenn es rechtlich für manche kompliziert erscheinen mag. Die Mitarbeitenden eines solchen Teams sollten die im Sinne des Wolfsmanagements getroffenen Entscheidungen zur letalen Entnahme einzelner problematischer Wölfe mit Blick auf die Nutztierhaltung durchführen. Natürlich würde ein solches Team auch die extrem selten auftretenden Wölfe vergrämen oder entfernen, die für Menschen gefährlich werden. Der wesentliche Vorteil einer solchen gezielten Entnahme ist, dass ein Fachteam bei jeder Entnahme dazulernt und effektiver wird. Meine Forderung für diese Teams stützt sich auf die Tatsache, dass im Land Niedersachsen bis heute keiner der zur letalen Entnahme definierten Wolfsindividuen erfolgreich getötet wurde. Es waren immer andere bzw. die falschen Wölfe (Welpen, Jährlinge) die von Jägern geschossen wurden. Die betroffenen Nutztierhalter hatten also gar nichts von wahllosen Entnahmen.

Was wäre die Rolle der Jäger bei Ihrer Forderung für Fachteams?
Ich begrüße es nach wie vor, dass die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2020 „Umgang mit Wölfen“ den relevanten Behörden mehr Handlungsfreiraum zur Entnahme problematischer Wölfe in Bezug auf Nutztierhaltung ermöglicht. Das jedoch einzig und allein Jäger solche Wölfe entnehmen sollen funktioniert schlicht weg nicht. Tatsächlich unterstützen einige Jäger die Wolfsentnahme noch nicht mal, weil sie Anfeindungen aus der Bevölkerung ihrer unmittelbaren Umgebung befürchten. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die regionalen Jäger hervorragende Unterstützer für ein Wolfsentnahme-Fachteam wären und mit ihrer Ortskunde dazu beitragen, besagte einzelne Wölfe genauer und schneller zu orten. Natürlich wären solche Wolfsentnahme-Fachteams als Bestandteil des Artenschutzes auf Länderebene mit Kosten verbunden – so wie Artenschutz immer Steuergelder kostet. Niedersachsen stellt mit EU-Kofinanzierung beispielsweise jährlich ca. 8,1 Millionen Euro für den vertraglichen Artenschutz hinsichtlich arktischer Gänse zur Verfügung.

In Deutschland neigt die Gesellschaft schnell zu gegenseitiger Verunsicherung – wenn wir dann 2027/28 wie prognostiziert bei 610 Rudeln sind, kann man sich ausmalen, dass manche vielleicht die komplette Aufhebung des Schutzstatus fordern werden …
Dieses Szenario würde bedeuten, dass wir den Status von Wölfen mit Rehen gleichsetzen. Ich glaube da sind wir weit von entfernt. Aber die Einführung einer Quote dürfte mittelfristig zu erwarten sein.

Wir haben in der EU eine politische Polarisierung zwischen VertreterInnen konservativ-liberaler Parteien und den Grünen, die den Artenschutz frühzeitig gefährdet sehen. Was würden Sie den jeweiligen Parteien raten?
Philosophisch betrachtet, glaubt grundsätzlich jeder, der Blick durch die eigene Brille sei die Wirklichkeit. Die Wahrheit über die Wölfe kann aber mit Fakten und Zahlen belegt werden. So stellen wir durch das Wolfsmonitoring fest, wo es tatsächliche Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere gab. Wo gab es Tötungen von Nutztieren? Waren diese Nutztiere geschützt? Das ist für mich die Wahrheit, da wir hier konkret messen und Fakten liefern können. Trotzdem haben wir konservative oder liberale, sozialdemokratische und ökologisch-orientierte Betrachtungen dieser Fakten und es entsteht damit eine jeweils andere Bewertung der Lage. Ich persönlich spreche mich immer wieder dafür aus, sich auf die Datenlage zu stützen und ohne Emotionen zu bewerten. Und wenn es um Emotionen geht, fällt mir immer wieder die Lage von geschützten oder weniger geschützten Nutztieren ein. Da empfehle ich Politikern hinzuschauen, ob die Konzepte für den Schutz von Weidetieren genügend konkret ausgearbeitet sind, um die Übergriffwahrscheinlichkeit von Wölfen auf Nutztiere erheblich zu reduzieren. Dazu gehört auch eine sehr ausgeprägte Finanzierungsgrundlage über die Landeshaushalte.

Wir hören in letzter Zeit vermehrt von Übergriffen in Niedersachsen. Welche Handlungsempfehlungen haben Sie um dem entgegen zu gehen?
In der Tat haben wir in Niedersachsen einen Zuwachs von Wolfsterritorien zu verzeichnen und parallel dazu einen Zuwachs von Übergriffen mit dem Effekt von weniger starken bis starken lebensbedrohlichen Verletzungen bis hin zu Tötung. Und deshalb plädiere ich immer und immer wieder dafür prioritär den Schutz von Weidetieren professionell auszubauen, heißt vor allem auch das behördlich professionelle Beratungsangebot für die Nutztierhalter durch mehr Mitarbeitende zu erweitern. Schafe, Ziegen wie auch das so genannte Gehegewild – in Niedersachsen häufig Damwild in Gehegen zur Fleischproduktion – sind leichte Beute für den Wolf. Es existieren seit längerem bewährte Schutzkonzepte. Sogar jeder Hobbyhalter von Schafen kann beim Land Niedersachsen Gelder zum Umbau seiner Zaunanlagen beantragen, um wolfsabweisenden Grundschutz zu gewährleisten. Wir haben in Niedersachsen flächendeckend Tausende von Hobby-Schafhaltern die sehr viel intensiver auf diese Schutzmöglichkeiten hingewiesen werden sollten – mit Direktansprache auf den Weiden und Grundstücken.
Pressemitteilung Wolfcentner vom 14.1.2023

In der nächsten Interviewfolge im Februar wird das Themengebiet der Herdenschutzmaßnahmen detailliert betrachtet.
Weitere Infos über: www.wolfcenter.de

Buchtipp: Wild lebende Wölfe

0 Kommentare

Das könnte Sie auch interessieren…