Die Bilder, die uns aus Yellowstone erreichen, kommen uns erschreckend bekannt vor. Ist es doch gerade nur ein Jahr her, dass uns die Jahrhundertflut im Ahrtal einen ersten Blick auf die Folgen der Klimaerwärmung gezeigt hat.
Über dreißig Jahre lang habe ich in Yellowstone verbracht, Wölfe beobachtet und Wolfsreisen durchgeführt. Dabei habe ich vielen von euch den Park, seine Landschaft und seine Tiere zeigen können. Wir haben in den umliegenden Gemeinden gewohnt, gegessen und natürlich auch eingekauft. Haben Freundschaften geschlossen und sind fasziniert und beeindruckt von den Wundern der Natur wieder nach Hause gereist.
Für mich waren – neben der Paarungszeit im Januar/Februar – der Mai und Juni stets am aufregendsten, weil in dieser Zeit zum ersten Mal die Wolfswelpen aus ihren Höhlen kamen.
Nun, leider hat sich diese „heile“ Welt, wie wir sie kannten, jetzt drastisch verändert. Ich gebe euch hier einen Überblick über die Ereignisse der letzten Woche.
Ich habe in meiner Zeit in Yellowstone schon einige Naturkatastrophen miterlebt, in denen der Park geschlossen worden war. Besonders erschreckend waren 1988 die großen Feuer, die ein Drittel des Parks verbrannten. Ich war damals mit einer Reisegruppe unterwegs, wir wurden evakuiert.
Auch ist es nicht unüblich, dass es im Frühjahr nach der Schneeschmelze gelegentlich zu Überschwemmungen kommt. Zweimal habe ich es erlebt, dass die Straße durch das Lamar Valley vom Fluss unterspült und unpassierbar war. Was tun, wenn man allein in einer Cabin in Silver Gate oder Cooke City – am Nordende des Parks – festsitzt? Man holt sich ein paar Vorräte von der örtlichen Tankstelle (der einzige Lebensmittelladen) und nutzt die beobachtungsfreie Zeit zum Wandern, Schlafen, Lesen oder Schreiben. Innerhalb weniger Tage hatte der Parkservice die Straße wieder soweit hergestellt, dass sie vorsichtig befahren werden konnte. Soweit der Normalfall.
Aber Jetzt ist nichts mehr normal. Anfang Juni war es in Yellowstone ungewöhnlich warm (ca. 25° C). Ein starker Regensturm ließ in nur einem Tag die Niederschlagsmenge eines ganzen Monats auf den Park niedergehen. Die Flüsse und Bäche, die bereits mehr Schmelzwasser als gewöhnlich trugen, wurden zu schlammigen, reißenden Sturzbächen und rissen Teile der angrenzenden Straße mit sich. Die Stadt Gardiner, das Eingangstor zu Yellowstone, liegt am Zusammenfluss vom Gardner River* mit dem Yellowstone River. Die beiden Flüsse vereinigten sich und schoben eine über 4,20 Meter hohe Flutwelle mehr als 50 Meilen nach Norden. Sie überschwemmte den Yankee Jim Canyon, das Paradise Valley und sogar die Stadt Livingston.
Im gesamten Park herrschten ähnliche Bedingungen: Bäche und Wasserläufe stiegen auf rekordverdächtige Pegel, bedeckten Straßen und rissen Brücken weg. Schließlich verkündete der Superintendent von Yellowstone, Cam Sholly, die Schließung aller fünf Eingänge zum Yellowstone und die Evakuierung der meisten Touristen aus dem Gebiet.
Diese Überschwemmung war das jüngste in einer Reihe von dynamischen Ereignissen, die Gardiner in den letzten zwei Jahrhunderten geprägt haben. Es zeigt, wie sehr die Gemeinden, die direkt außerhalb von Nationalparks und historischen Stätten liegen, für Zerstörung anfällig sind.
In Gardiner befindet sich ein Großteil der „offiziellen“ Infrastruktur des Yellowstone-Nationalparks. Aufgrund der Nähe zum Hauptquartier des Parks in Mammoth Hot Springs wurde dort 2005 ein Heritage and Research Center errichtet, das Manuskript-, Buch- und Objektsammlungen zur Geschichte von Yellowstone beherbergt. Yellowstone Forever, der offizielle gemeinnützige Partner des Parks, der Bildungs- und Fundraising-Projekte unterstützt, hat seinen Sitz ebenfalls in Gardiner.
Die Lage des Ortes am Ende des idyllischen Paradise Valley und seine malerische Hauptstraße hoch über dem Yellowstone River machen ihn, wie die Handelskammer zu sagen pflegt, zum „bevorzugten Eingang zur Natur“. Gardiner ist auch die einzige Gemeinde, die das ganze Jahr über Zugang zum Yellowstone-Park bietet, was besonders in der Nebensaison ein großer Vorteil für den Tourismus ist.
Aber es gibt auch Gefahren, wenn ein Ort fast ausschließlich vom Tourismus lebt, denn zu viel davon kann ihn zerstören.
2013 beispielsweise investierten lokale, staatliche und bundesstaatliche Behörden viel Geld in Infrastrukturverbesserungen in Gardiner, um die Hundertjahrfeier des National Park Service 2016 vorzubereiten. Während die Einwohner der Stadt die neuen Bürgersteige, die Beleuchtung und die Steuereinnahmen, die aus dem Programm resultierten, zu schätzen wussten, ärgerten sich einige über den damit einhergehenden Anstieg des Touristenverkehrs, wie eine Umfrage der University of Montana aus dem Jahr 2018 ergab. Die Stadt florierte, aber sie war auch deutlich voller.
Die Corona-Pandemie hat diese Probleme noch verschärft. Im Frühjahr 2020 unterbrachen Quarantäneanordnungen den Touristenstrom nach Yellowstone und stürzten Gardiner und die anderen Gemeinden an den Parkgrenzen ins wirtschaftliche Chaos. Der große Ansturm von Touristen, die im Sommer 2020 und 2021 in die Region zurückkehrten, belastete die Hotels und Restaurants, die mit einem massiven Arbeitskräftemangel zu kämpfen hatten, sowie die Krankenhäuser, die sich um Covid-infizierte auswärtige Besucher kümmen mussten. Die Pandemie brachte auch eine große Anzahl neuer Zuwanderer in die Region, die ihr Home Office nach Yellowstone verlegten.
Infolge dieses Tourismusbooms schossen die Immobilienpreise in die Höhe, und immer mehr Wohnungen und Häuser in Gardiner wurden in Airbnbs und andere Kurzzeitvermietungen umgewandelt, so dass es für Menschen, die im Park und den damit verbundenen Unternehmen arbeiten wollen, schwierig ist, eine Wohnung zu finden. Die Situation hat zu Spannungen zwischen Einheimischen und Besuchern geführt.
Darüber hinaus hat die Flutkatastrophe deutlich gemacht, dass Gardiner auch durch den Klimawandel gefährdet ist. Seit 1950 steigen die Temperaturen in der Region stetig an, was im späten Frühjahr in höheren Lagen zu mehr Regen (statt Schnee) führt. Beschleunigte Schneeschmelze in Kombination mit Frühlingsstürmen, die mehr Regen bringen, als die Bäche und Flüsse des Parks bewältigen könnten, werden häufiger auftreten.
Luftaufnahmen der Billings Gazette vom Flutgebiet
Das extreme Wetter forderte einen hohen Tribut von Gardiner. Die Überschwemmungen schnitten die fast 900 Einwohner sowohl von Livingston als auch vom Hauptsitz des Parks in Mammoth Hot Springs ab, so dass sie mehrere Tage lang ohne Strom und Trinkwasser waren.
Alle Straßen in und aus Gardiner wurden unterspült, von Erdrutschen verschüttet, überflutet oder sind einfach verschwunden. Das Wasser- und Abwassersystem der Stadt ist zusammengebrochen. Ein Gebäude, in dem mehrere Anwohner wohnten, stürzte in den Fluss. Die Gemeinden Gardiner, Mammoth, Silver Gate und Cooke City waren von Lebensmitteln und Vorräten abgeschnitten. Große Teile des Paradise Valley und viele Orte in Livingston, MT, waren überflutet, ebenso wie Red Lodge.
Die Straße zwischen Mammoth und Gardiner ist in mehreren Abschnitten beschädigt, ebenso die Straße zwischen Mammoth und Cooke City.
Aussichten
Die direkte Straße von Gardiner in den Park wird wahrscheinlich bis nächstes Jahr geschlossen werden. Einheimische und Personal dürfen über die „Old Gardiner Road“ fahren.
Ohne den Zugang zum Yellowstone ist es unwahrscheinlich, dass Touristen den ganzen Weg nach Gardiner fahren, nur um zu wandern oder Wildwasser-Rafting zu betreiben. Die örtliche Wirtschaft wird auf kurze Sicht am Boden zerstört sein. Auch der Park selbst wird sich verändern: Ohne den Eingang in Gardiner, der die Besucher in den nördlichen Teil des Yellowstone bringt, müssen Ranger und andere Mitarbeiter mit Überfüllung und Staus im gesamten restlichen Park rechnen.
Im Wesentlichen bleibt der nördliche Teil des Parks auf absehbare Zeit geschlossen, und der Besuch des südlichen Teils des Parks wird geregelt, möglicherweise mit einem Reservierungssystem.
In Gardiner wird der Verkehr auf dem Highway 89 nach Norden abgewickelt. Der einkommende Verkehr ist nur für Anwohner, Dienstfahrzeuge und Lieferungen bestimmt.
Die Nordschleife wird voraussichtlich bis zum Sommer, wenn nicht länger, geschlossen bleiben. Nach Angaben der Behörden könnte es Jahre dauern und mehr als eine Milliarde Dollar kosten, die Schäden in der ökologisch sensiblen Landschaft zu beheben, in der nur vom Frühjahr bis zum ersten Schneefall gebaut werden kann.
Nach den Angaben der Parkverwaltung und den Bildern und Videos aus dem Hubschrauber (s.u.), scheint der größte Schaden an den Straßen entstanden zu sein, insbesondere an der Straße, die den Nordeingang des Parks in Gardiner, Montana, mit den Parkbüros in Mammoth Hot Springs verbindet.
Große Teile der Straße wurden unterspült und weggeschwemmt, möglicherweise wurden Hunderte von Stegen auf Wanderwegen beschädigt oder zerstört.
Die Frage wird sein, wie viel Geld die Regierung in den Wiederaufbau der Straßen investieren will, wenn in Zukunft jederzeit ein ähnliches Hochwasserereignis geschehen kann.
Der Wiederaufbau
Abgesehen von den Kosten werden auch die ökologischen Herausforderungen für den Wiederaufbau immens sein. So werden beispielsweise die Arbeiter in Mammoth Hot Springs darauf achten müssen, die unterirdischen Röhren und Schloten, durch die das heiße Wasser an die Oberfläche tritt, nicht zu zerstören. Daneben gibt es Mikroben und Insekten, die in dieser Umgebung der heißen Quellen gedeihen und fast nirgendwo sonst zu finden sind. Außerdem muss der Park darauf achten, dass keine archäologischen oder kulturellen Artefakte in dem Gebiet mit einer reichen Geschichte der amerikanischen Ureinwohner beschädigt werden.
Es müssen also alle Ressourcen berücksichtigt und dabei so sorgfältig aber auch so schnell wie möglich gearbeitet werden. Auf der anderen (positiven) Seite könnten die notwendigen Umleitungen der Straße den Fluss und die dort lebenden Fische und anderen Arten besser vor Öl und anderen mikroskopisch kleinen Verschmutzungen zu schützen, die von vorbeifahrenden Fahrzeugen stammen. Somit könnten die Flüsse gesünder werden.
Die Flut in Yellowstone hat den Bewohnern der umliegenden Gemeinden, dem Parkservice und uns Touristen gezeigt, dass wir die hohe Wahrscheinlichkeit eines unbeständigeren Klimas in der Zukunft nicht mehr ignorieren können.
Lamar Valley
Der von der Überschwemmung beschädigte nördliche Teil des Parks wird dieses Jahr vermutlich nicht wieder geöffnet, so dass die Besucher das Lamar Valley, einen der besten Orte der Welt, um Wölfe und Grizzlybären zu sehen, nicht mehr erleben können.
Stimmen von Freunden
Ich habe mit Freunden gesprochen, die im Park leben und dort ihre Häuser haben.
Dan und Cindy Hartman aus Silver Gate kennen einige von euch. Wir haben oft die Galerie der Hartmanns besucht.
Den beiden geht es gut. Sie schreiben:
„Kaum zu glauben, was in so kurzer Zeit alles zerstört wurde. Unser kleiner Bach unterhalb der Hütte und auf der anderen Straßenseite, der Soda Butte, erreichte am Montag, den 13. Juni um zwei Uhr morgens seinen Höchststand und ließ die gesamte Stadt Silver Gate über 24 Stunden lang unter einem Meter Wasser stehen. Niemand wurde hier oder im Park verletzt, was ich erstaunlich finde. Es ging alles so schnell. An den Häusern hier gibt es einige Schäden, aber die meisten können repariert werden.
Zum Glück liegen unsere Hütte und unsere Galerie hoch oben auf dem Hügel, wir haben einen eigenen Brunnen und eine eigene Kläranlage, also sind wir sicher und gesund. Der Strom ist tatsächlich die ganze Woche über aus- und wieder eingeschaltet gewesen, aber es werden Reparaturen durchgeführt, und bald wird er wieder funktionieren.
Der Parkservice sagt, dass sie nicht glauben, dass sie den Nordost-Eingang vor dem nächsten Jahr öffnen können. Das bedeutet, dass die Straße nach Cody gepflügt werden muss, damit wir hier raus können.
Ich habe Mitleid mit allen Unternehmen in unserer Gegend, den Reiseführern, Restaurants usw. Wir werden von jetzt an bis zum Frühjahr über 120 Gruppen verlieren, wenn sie den Nordost-Eingang nicht öffnen. Aber wir haben den Vorteil, seit 32 Jahren hier zu sein, und wir werden durchhalten.
Uns geht es gut, wir sind so froh, dass wir auf dem Hügel leben. Das Leben in diesem Frühling, Sommer und Winter wird anders sein, aber die Wildtiere werden weiterhin unsere Hütte besuchen, und wir werden mehr Zeit haben, sie zu beobachten.“
Was machen die Wölfe?
Um die Wölfe mache ich mir keine Sorgen. Die graben grundsätzlich ihre Geburtshöhlen nicht in der Nähe von Flüssen. In Yellowstone liegen die Höhlengebiete erhöht. Die Wildtiere sind eben schlauer als wir Menschen, die gerne direkt am Wasser bauen.
Vermutlich sitzen jetzt Wölfe, Kojoten und Bären einträchtig auf einem Hügel im Lamar Valle, schauen auf die Straße und fragen sich, wo um alles in der Welt all die Menschen, Autos und Busse geblieben sind. 😊
Interessant könnte es sein, zu beobachten, ob und wie die Wölfe ihr Verhalten ändern, jetzt, wo es so viel ruhiger geworden ist.
Tourismus
Wenn Sie aktuell einen Urlaub in Yellowstone gebucht haben, sollten Sie auf nächstes Jahr umbuchen.
Diese Straßen sind momentan gesperrt/offen
Informieren Sie sich über die aktuelle Straßenlage hier
Südschleife ab 22. Juni offen
Die Südschleife des Parks wird voraussichtlich am 22. Juni wieder geöffnet. Die Zufahrt wird über ein „Nummerschild-System“ geregelt.
Mehr dazu hier …
* Zur Schreibweise: der Fluss hat seinen Namen nicht von der Stadt, sondern von einem Pelzjäger Johnson Gardner, der hier lebte.
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